SPD-Fraktionssprecher Florian Schneider fordert schnelles Handeln beim InnKlinikum und den Umweltproblemen
Burghausen. Wie war 2022, was erwartet uns 2023? Die Heimatzeitung lässt traditionell zum Jahresanfang die Sprecher der Kreistagsfraktionen zu Wort kommen und zur Entwicklung des Landkreises und zu ihren politischen Vorstellungen Stellung beziehen. Heute antwortet Florian Schneider, Vorsitzender der SPD-Fraktion und Bürgermeister der Stadt Burghausen.
Herr Schneider, 2022 war das dritte Krisenjahr in Folge, nach Corona nun Krieg. Welches sind ihre prägenden Erinnerungen, gerade auch persönlich?
Florian Schneider: Das Jahr 2022 war wieder ein sehr herausforderndes Jahr. Die Erschütterung über den Kriegsbeginn am 24. Februar und die daraufhin spürbare Verunsicherung der Menschen, wie es weitergeht, sind Erinnerungen, die für mich dieses Jahr prägen. Die Sorgen der Menschen über eine sichere und bezahlbare Energieversorgung, auch der Aufbruch bei erneuerbaren Energien und ganz bestimmt die Diskussion um die großen Fragen: Was sind die Werte, die uns leiten? Wie schaffen wir einen gesellschaftlichen Zusammenhalt? Wie stellen wir sicher, dass wir niemanden vergessen und zurücklassen? Also ein Jahr, in dem vieles, was uns selbstverständlich schien, infrage gestellt wurde und gleichzeitig auch ein Jahr der Neuausrichtung.
Das politisch wohl wichtigste Thema im Landkreis ist die Entwicklung des InnKlinikums. Der Fusionsprozess scheint etwas zu stocken. Sind Sie zufrieden mit dem medizinisch Erreichten?
Schneider: Eine gute ortsnahe Gesundheitsversorgung für die Menschen im Landkreis Altötting und im Landkreis Mühldorf ist oberste Aufgabe für das InnKlinikum. Dazu benötigen wir eine starke Klinik in öffentlicher Trägerschaft an allen vier Standorten. Die Profile dieser vier Standorte gilt es nun zu schärfen und noch mal ganz konkret der Bevölkerung nahezubringen, welch gute Medizin hier gemacht wird. Wir sind auf einem guten Weg, müssen aber bei den Patientenzahlen zulegen.
Dem gegenüber steht die Defizitsituation. Wie lange wird ein Minus im zweistelligen Millionenbereich noch akzeptiert, das die Landkreise Altötting und Mühldorf tragen müssen?
Schneider: Für mich steht die medizinische Versorgung im Vordergrund. Hierzu brauchen wir hochqualifiziertes Personal, attraktive Arbeitsbedingungen und gute Klinikstandorte in den beiden Landkreisen, sodass wir wohnortnah gute Medizin bieten können. Durch die richtige Profilbildung, durch das Abschaffen von Doppelvorhaltungen muss sich das Defizit auch entscheidend verringern. Ein Defizit von über 20 Millionen Euro für beide Landkreise gemeinsam ist dauerhaft nicht zu tragen.
Folgen nun die schon lange geforderten Verschmelzungsmaßnahmen, insbesondere der Abbau der Doppelvorhaltungen? Was heißt das konkret?
Schneider: Es ist die schon angesprochene Profilbildung der Standorte, das heißt es muss klar sein, an dem Standort Altötting ist die hochspezialisierte Gerätemedizin. Hier sind die Spezialisten für die schwierigen Fälle und die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Disziplinen. An den anderen Standorten sind Profile herauszubilden und eine wohnortnahe medizinische Versorgung zu gewährleisten. Ich kann mir sehr gut, zum Beispiel am Standort Burghausen, den Ausbau verschiedener Reha-Abteilungen vorstellen, bis hin zu einer Neuro-Reha und zu einer „Altersmedizin“ mit Kurzzeitpflege, um hier Patienten anzuziehen mit den hervorragenden Bedingungen, die solch ein Haus hat, die ideale Lage, die gute bauliche Substanz, das exzellente Personal und eben dadurch auch hervorragende medizinische Qualität. Ich halte den Schritt, die Innere Medizin, so wie es jetzt geschehen ist, in Altötting zu bündeln, in dieser Zeit für unausweichlich. Die Vorgaben von Bundesgesundheitsminister Lauterbach lassen hier gar keinen anderen Weg offen. Jetzt gilt es, nicht solchen Ankündigungen hinterherzuhinken, sondern vorausschauend eine Strategie umzusetzen, die eine Profilbildung an allen vier Standorten vorsieht – die Schlagworte „Gesundheitszentren, Ambulantisierung“ und attraktive Arbeitsbedingungen müssen uns dabei leiten.
Das Defizit ist das Eine, die Bautätigkeit das Andere. Sind die Investitionen in dieser Dimension überhaupt nötig und sinnvoll? Braucht es noch so viele Betten, nachdem der Gesetzgeber immer mehr ambulante Behandlungen fordert?
Schneider: Es ist richtig, dass das Altöttinger Haus weiter ausgebaut wird und so auch das InnKlinikum insgesamt gestärkt ist. Die Bautätigkeit wird sicherlich noch die nächsten zehn Jahre anhalten und allein für die Instandsetzung der verschiedenen Bettentrakte ist es notwendig, Betten vorzuhalten. Gerade jetzt halte ich es für zwingend erforderlich, die Notaufnahme in Altötting deutlich auszubauen und so bessere Strukturen zu schaffen, da die Wartezeiten hier eindeutig zu lang sind. Also eine Bautätigkeit ja, aber immer flexibel abgestimmt auf die Veränderungen der Gesundheitspolitik, um mit dem Altöttinger Haus das gesamte InnKlinikum zu stärken. Der Trend zur Ambulantisierung wird nichtsdestotrotz weiter anhalten. Gerade das Thema Gesundheitszentren mit einer guten ambulanten Versorgung kann ich mir an allen Standorten vorstellen. Altötting muss das Haus mit der Gerätemedizin sein, die Gesundheitszentren, die Ambulantisierung werden einhergehen müssen und insbesondere die weiteren Standorte prägen.
Ebenfalls Millioneninvestitionen stehen in die Schulen an, gerade wurde der Neubau der FOS/BOS für 60 Millionen Euro auf den Weg gebracht. Hinzu kommen Pestalozzi-Schulneubau, KKG-Turnhalle und dann die Berufsschule. Wer soll das alles bezahlen – und wie?
Schneider: Investitionen in Bildung sind richtig und wichtig. Dennoch müssen wir genau schauen, was wir uns im Landkreis wirklich leisten können. Zählt man alle diese Schulprojekte zusammen, ist man schnell bei 150 bis 200 Millionen Euro. Neben den aufgeführten Schulen ist die Renovierung der Maria-Ward-Realschule in Burghausen ein ganz wichtiges Projekt für die nächsten Jahre, diese Schule darf keinesfalls vergessen werden. Es wird somit notwendig sein, einen klaren Kostenrahmen vorzugeben, diese Investitionen auch mit Schulden zu finanzieren und diesen Investitionsmaßnahmen für die Bildung Priorität im Haushalt einzuräumen. Hierzu sind die anderen Positionen kritisch zu durchleuchten. Wo sind weitere Sparmaßnahmen möglich, um Luft für die Investitionen in die Bildung zu bekommen.
Und diese Kredite sind nötig, obwohl die Wirtschaft nach wie vor brummt im Chemiedreieck. Bleibt das so – auch im Hinblick auf den Umbau der Industrie hin zu einer wasserstoffbasierten Wirtschaftsweise?
Schneider: Unserer Industrie im ChemDelta ist es im Jahr 2022 vielfach sehr gut gegangen. Es wurden große Gewinne erwirtschaftet und hohe Gewerbesteuern bezahlt. Nach wie vor kommt mehr als die Hälfte der Kreisumlage aus den beiden Industriestandorten Burghausen und Burgkirchen. Wir müssen jetzt alles daransetzen, weiterhin nachhaltigen Wohlstand bei uns in der Region zu erhalten. Es geht um die richtige Weichenstellung für die Zukunft, insbesondere das Thema Wasserstoff ist eines der ganz großen Projekte für die nächsten Jahre. Wir müssen unsere chemische Industrie bei dieser Transformation weg vom Erdgas und fossilen Stoffen hin zu Wasserstoff und Klimaneutralität unterstützen, um so die Wettbewerbsfähigkeit und damit den Wohlstand für alle Bürger im Landkreis zu erhalten. Bund und Land sind hier gefordert, die Rahmenbedingungen über eine Wasserstoffinfrastruktur, über Stromleitungen, aber auch über Förderprojekte, wie das große Forschungsprojekt Reallabor ChemDelta in Burghausen, voranzutreiben und zu unterstützen.
Wichtig ist, dass die Rahmenbedingungen stimmen, insbesondere die Energieversorgung muss gesichert werden. Wie kann das glücken, wie können Widerstände etwa gegen Stromleitungen verhindert werden?
Schneider: Das große Schlagwort für die weitere Entwicklung unserer Industrie ist das Thema Stromversorgung und Versorgung mit Wasserstoff. Die Menschen bei uns im Landkreis wissen, was sie an der Industrie haben. Nur mit einer starken chemischen Industrie können wir globale Lösungen zur Bekämpfung des Klimawandels entwickeln. Wir leben seit vielen Jahrzehnten gut mit und von der Industrie, umso wichtiger ist es jetzt, offen darzulegen, welche Bedeutung eine Energieversorgung zu vernünftigen Preisen für den Wohlstand im Landkreis hat. Nur so können wir die Arbeitsplätze bei uns erhalten und ausbauen und weiter so attraktive Lebensbedingungen bieten.
Wie beurteilen Sie die Windkraft-Pläne des Landkreises im Staatsforst?
Schneider: Ich finde es richtig, in erneuerbare Energien zu investieren. Dazu gehört auch, das Thema Windkraft genauer zu untersuchen und eine Investitionsentscheidung auf vernünftige Füße zu stellen. Hierzu sind sicherlich noch mehrere Untersuchungen notwendig und viele Fragen auch mit den Staatsforsten zu klären. Wie soll es mit einem Bannwaldausgleich funktionieren? Wie gehen wir hier mit dem Thema PFOA um? So denke ich, wird noch einige Zeit ins Land gehen, bis wirklich die ersten Windräder errichtet werden könnten. Ich persönlich halte die Windkraft für eine vernünftige Ergänzung zu den Photovoltaikanlagen, sehe aber in der Photovoltaik den größeren Beitrag in unserer Region.
Die Kehrseite unseres wirtschaftlichen Erfolges schlagen aber auch immer wieder auf – aktuell HFPO-DA oder GenX. Wie beurteilen Sie dieses Problem und wie kann es in den Griff bekommen werden?
Schneider: PFOA, GenX und alle damit verwandten Stoffe stellen nicht nur für unseren Landkreis eine große Herausforderung für die nächsten Jahre und Jahrzehnte dar. Auf der einen Seite muss verhindert werden, dass weitere solche Stoffe bei der Produktion in Gewässer und in den Boden gelangen können und zum zweiten muss mit den jetzt vorgefundenen Verunreinigungen transparent und mit Rücksicht auf die menschliche Gesundheit umgegangen werden. PFOA im Bodenaushub ist eines der großen Investitionshindernisse bei uns im Landkreis und ist dringend von den zuständigen Stellen zu lösen. Es ist eine der wichtigsten Aufgaben für Landrat und Landratsamt, diese Thematik endlich in den Griff zu bekommen und die Lösungen weitaus entschiedener voranzutreiben, als dies in den vergangenen Jahren erfolgt ist. Gleichzeitig ist mit den jetzt vorgefundenen Verunreinigungen über GenX im Wasser konsequent vorzugehen. Es muss geklärt werden, wie hier eine gesundheitliche Beeinträchtigung ausgeschlossen werden kann. Vor allem müssen auch die Verursacher der Verunreinigungen von Wasser und Boden zur Rechenschaft gezogen werden, um finanziell diese Aufwendungen zu ersetzen und die Schäden auszugleichen.
Herr Schneider, welche Erwartungen haben Sie für 2023? Was wünschen Sie dem Landkreis und seinen Bürgern und was wünschen Sie sich persönlich?
Schneider: Ich wünsche mir, dass der Krieg in der Ukraine endet, dass die Menschen zuversichtlich in die Zukunft schauen und die großen Zukunftsfragen wie der Klimawandel gesellschaftlich gemeinsam angegangen werden. Dem Landkreis wünsche ich gute Entscheidungen zur Weiterentwicklung des InnKlinikums mit allen vier Standorten und ein beherzteres Anpacken bei der Lösung der PFOA-Problematik. Uns allen wünsche ich dazu die nötige Gesundheit, Zufriedenheit und Zuversicht.
− ecs