PNP 11.05. Wirtschaftspolitik in stürmischen Zeiten

13. Mai 2024

Wirtschaftspolitik
MdB Bärbel Kofler und Sebastian Roloff bei SPD-Podiumsdiskussion zu Gast – Optimismus für Dyneon

Altötting. Die Botschaften waren optimistischer als der Titel der Veranstaltung im AWO Mehrgenerationenhaus Altötting: „Wirtschaftspolitik in stürmischen Zeiten: Arbeitsplätze sichern, Region stärken“.
Die SPD im Landkreis Altötting hatte zu einer Podiumsdiskussion und Inforunde mit den Politikern aus Berlin, Parlamentarischer Staatssekretärin Dr. Bärbel Kofler und MdB Sebastian Roloff, Mitglied des Wirtschaftsausschusses, eingeladen. Mit am Podium für die Region waren Günter Zellner, Regionsgeschäftsführer DGB Oberbayern, und Markus Staller, stv. Betriebsratsvorsitzender InfraServ Gendorf. Auch die beiden Politiker aus Berlin sind keine Fremden in der Region; Kofler stammt aus Freilassing und Sebastian Roloff, Jurist, aus der Oberpfalz, war bei IG Metall in München in verantwortlicher Position und u.a. Personalleiter bei MAN Trucks und Busse.

Die Botschaften aus Berlin: Ja, die Zeiten sind stürmisch, aber die Lage sei mit Sicherheit besser als die Stimmung. Um diese, eine nicht zu vernachlässigende Einflussgröße in der wirtschaftlichen Entwicklung, nicht zu verschlechtern, sondern zu heben, nahmen die Politiker aus Berlin, aber auch die Vertreter aus Stadt- und Gemeinderäten sowie Betriebsratsgremien und SPD-Ortsverbänden in der Region auch die Oppositionspolitiker in die Verantwortung, nicht grundsätzlich auf Obstruktionskurs zu gehen. Nicht nur um die Stimmung zu heben, sondern auch um Konsumimpulse zu setzen und damit ganze Sektoren der Wirtschaft in Schwung zu bringen, brachte Sebastian Roloff Abgaben-Entlastungen für die Mittelschicht ins Gespräch.

Denn tatsächlich habe man in wahrhaft stürmischen Zeiten einige wesentliche Trends in der Wirtschaft wieder auf guten Kurs gebracht, illustrierte Dr. Kofler. Nach dem Schock der Corona-Pandemie und dem daraufhin folgenden Angriffskrieg Russlands in der Ukraine seien zwar Energiepreise, Unsicherheit in der Versorgung und Inflation sprunghaft nach oben gegangen, aber man habe diese Probleme im Griff: Die Inflation sei auf rund zwei Prozent gesunken, die Versorgungssicherheit in der Energie wieder hergestellt und Preise in etwa auf Vorkriegsniveau. Zudem habe man den Einstieg in die Energiewende hin zu Erneuerbaren geschafft; es herrsche Vollbeschäftigung und es gehe uns im Allgemeinen gut. Diese Erfolge sollten nicht aus wahltaktischen Gründen von der Opposition zerredet werden.

Nicht zu hundert Prozent gesichert, aber mit guter Hoffnung für eine gute Lösung sieht MdB Roloff eine Standortsicherung des Unternehmens Dyneon im Chemiepark Werk Gendorf im Modell einer Stiftung. Die Produktionspalette bei Dyneon mit fluor-basierten Kunststoffen sei nicht nur für die unmittelbar rund 700 betroffenen Arbeitsplätze und für die Vernetzung der Unternehmen am Standort in Chemiepark in Gendorf von Bedeutung, sondern auch für das Chemiedreieck, die gesamte Region Südöstliches Oberbayern und schließlich für die Zukunftstechnologien in Europa mit Fokus auf Mikrochips, Medizintechnik und erneuerbare Energien.

Dennoch, beide Politiker aus Berlin räumten auch Defizite ein. Um Industrienation und Industrieregion zu bleiben, müsse die Infrastruktur gestärkt werden. Vor allem bei der Bahn, in der Digitalisierung, bei erneuerbaren Energien und bei der Wasserstofftechnologie gelte es, Defizite aufzuholen. Dass man die Abwanderung der Solarindustrie in vergangenen Legislaturperioden, zur Zeit der großen Koalition nicht verhindern konnte, nannte Roloff einen großen Fehler.

Aus dem Publikum kam der Hinweis auf den wachsenden Transportbedarf der Standortindustrie per Bahn, zum Beispiel auch durch die OMV-Raffinerie in Burghausen. Beide Politiker aus Berlin bekannten sich zu deutlich Investitionsbedarf, auch seitens des Staates, vor allem beim Ausbau der „ABS 38“ von München über Mühldorf ins Chemiedreieck und weiter nach Salzburg, aber auch beim Zulauf zum Brenner-Basis-Tunnel. Dr. Kofler betonte jedoch, staatliche Investitionen dürften nicht zulasten von sozialen Bindungen und durch Einsparungen in diesem Bereich gehen.

Optimismus bekräftigte Günter Zellner: Man habe in der Region schon mehrere Herausforderungen gemeistert, zum Beispiel die Auflösung des Hoechst-Konzerns in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts und die Umwandlung des Standortes in Gendorf in einen Chemiepark mit unterschiedlichen Unternehmen. Man wisse sich außerdem durch die beiden Abgeordneten in Berlin und in der Bundespolitik gut vertreten. Dass das auch auf europäischer Ebene geschehen könne, dafür warb Günter Zellner um jede Stimme in der anstehenden Europawahl am 9. Juni.

Konkrete Anliegen in Ergänzung zur angestrebten Sicherung des Dyneon-Standortes und zum Ausbau der Infrastruktur nannten Markus Staller als stellvertretender Betriebsratsvorsitzender von InfraServ Gendorf und Diskussionsteilnehmer aus dem Publikum. Zum Beispiel stehen Standortbetreiber in der Pflicht und vor der Herausforderungen, dass die Standorte bis 2024 CO2-neutral werden müssen, es dafür aber, anders als bei Produktionsbetrieben, keinen Förderrahmen gebe. Vielleicht könne man hier durch langfristige rückzahlbare Kredite Wege zur Bestandssicherung der Standorte aufzeigen. Schließlich sei nicht nur Gendorf sondern die gesamte Industrielandschaft der Chemie in Deutschland vor der gleichen Herausforderung. Eine ergänzende Forderung dazu zielte auf eine Berechenbarkeit der Netzentgelte für Energie. Je mehr die Netze ausgebaut werden, desto mehr stiegen auch die Kosten und zwar als unkalkulierbare Faktoren. Auch hier forderten mehrere Diskussionsteilnehmer aus dem Publikum eine unterstützende Aktion der Politik für die Industrie im Land. Sebastian Roloff versprach, die Themen in Berlin einzubringen und dranzubleiben, konnte aber keine akute Lösung anbieten. Eventuell bieten das EU-Beihilferecht oder die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) Stellschrauben.

Als Problem aus der regionalen Wirtschaft zeichne sich außerdem der Fachkräftemangel ab. Mit dem Wechsel der Baby-Boomer-Generation in den Ruhestand gehe nicht nur Arbeitskraft, sondern auch Fachwissen verloren. Sebastian Roloff fügte hier ein, dass ein beklagter Fachkräftemangel manchmal auch mit den gebotenen Arbeitsbedingungen zu tun habe und Arbeitnehmer eben dorthin wechseln, wo sie günstigere Arbeitsbedingungen finden. Und etwa gleichlautend mit Günter Zellner argumentierte Roloff für eine Tarifbindung von Arbeits- und Vergütungskonditionen und Unternehmen, was im „Tariftreue-Gesetz“ seinen Niederschlag finden solle. Auf die Frage aus dem Publikum, ob die Politik Möglichkeiten habe, systemrelevante Betriebe an Abwanderung zu hindern, erklärte Roloff: Im Prinzip wohl durch finanzielle Unterstützung, allerdings sei das in Vergleich zu den USA in Deutschland wesentlich komplizierter.

Eher sarkastisch-ironisch war die Frage von Günter Zellner, was denn eigentlich das Eisenbahnbundesamt mache. Denn dort würden planungsrechtlich komplette Projekte eingereicht und dann wohl auf Jahre verzögert. Das Nachbarland Österreich habe kein vergleichbares Amt, dafür aber durchaus effiziente Ausbauprojekte bei der Bahn. Sebastian Roloff antwortete launig, in der Theorie prüfe das Eisenbahnbundesamt die Planung; was die aber wirklich machen, könne er nur sagen, wenn man ihm dafür erkläre, was eigentlich das Bundeswehrbeschaffungsamt in Koblenz so treibe.
−ede

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